Frankfurter Straße 46: Hier gründete Anton Reifenhäuser in Sichtweite des heutigem Stadteingangs eine Schmiede. Aus dem Handwerksbetrieb sollte nach dem zweiten Weltkrieg in wenigen Jahrzehnten ein Familienunternehmen von Weltgeltung im Kunststoffmaschinenbau und der heute Mitarbeiter-stärkste Betrieb in Troisdorf werden. 1970 – kurz nach Gründung der Stadt Troisdorf in ihrer heutigen Form – erlebte die Firma einen wichtigen Meilenstein. Sie überschritt beim Umsatz die Marke von 100 Millionen Mark. Den stürmischen Aufstieg verdankt Reifenhäuser einer von Hans Reifenhäuser im Jahr 1948 auf dem Markt gebrachten Neuentwicklung: dem Extruder 40 GFS 30. Dieser begründete Troisdorfs weltweiten Ruf als Standort für Kunststoff-Maschinen.
Das Jahr der Währungsreform markiert den Startschuss dieses Troisdorfer Wirtschaftswunders. Er ist verbunden mit den Brüdern Hans und Fritz Reifenhäuser, die die zweite Generation im Familienunternehmen repräsentierten. Hans Reifenhäuser war bereits 1945 aus dem Krieg nach Hause zurückkehrt. Er hatte eine Ausbildung zum Maschinenbau-Ingenieur abgeschlossen und den festen Vorsatz, auf diesem Feld als Unternehmer aktiv zu werden. Bruder Fritz, KFZ-Mechaniker, kam 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Der dritte Sohn Willi starb im Krieg.
Reifenhäuser produzierte zunächst Schlagtische zur Herstellung von Betondachziegeln. Der entscheidende Impuls für das noch heute bestimmende Geschäftsfeld – der Bau von Extrudern – kam durch den Hinweis eines früheren Mitarbeiters der Dynamit Nobel AG. Die rasant steigende Nachfrage nach Kunststofferzeugnissen in den 50er- und 60er-Jahren trieb die Nachfrage. Bereits 1958 erreichte das Troisdorfer Unternehmen einen Exportanteil von 54 Prozent und hatte bereits in den 50er-Jahren 35 Auslandvertretungen etabliert.
Über das Können der Reifenhäuser-Ingenieure und Facharbeiter hinaus spielten auch Rahmenbedingungen eine Rolle. Zum einen waren die Beziehungen und der Austausch zur Dynamit Nobel und benachbarten Chemieunternehmen und Kunststoffverarbeitern in der Region sehr eng. Zum anderen, so Hans Reifenhäuser in den 80er-Jahren, war es „die Freiheit des offenen Weltmarktes, der Frieden in der Gemeinschaft der Völker, der die Früchte der Arbeit reifen ließ“: „Es war der frische Wind des freien Wettbewerbs, der uns Ansporn zur Leistung gab.“
In Zahlen liest sich das wie folgt: Die Umsätze explodierten von einer Million Mark im Jahr 1950 bei einer Mitarbeiterzahl von 40 Köpfen auf 145 Millionen Mark im Jahr 1974, erwirtschaftet von 1035 Belegschaftsmitgliedern. Mitte der 50er-Jahre fasste die Geschäftsleitung einen Beschluss, der den Kölner Stadt-Anzeiger 1957 zu folgender Schlagzeile veranlasste: „Neues Werk entsteht in Sieglar.“ Der Platz am Gründungsstandort Frankfurter Straße 46 reichte für die enorm gewachsene Fertigung nicht mehr aus. In Sieglar gab es 110 000 Quadratmeter Bauland für einen vertretbaren Preis. Die Steuerkraft des von Bauernwirtschaft geprägten Nachbarortes wuchs damit beträchtlich. Auf diesem Grundstück befinden sich heute noch die seinerzeit in zwei Abschnitten errichteten Fertigungshallen und das Bürogebäude, in dem 40 Konstrukteure Platz fanden. 1975 errichtete man das inzwischen silbern verkleidete Verwaltungshochhaus. Mit der 1969 erfolgten Vereinigung Sieglars mit Troisdorf kehrte auch diese Fertigungsstätte an der Spicher Straße wieder in den Schoß der Stadt zurück.
Das Unternehmen machte in den Rezensionen der 80er-Jahre sowie in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 schwere Zeiten durch. Dazu Geschäftsführungsmitglied Ulrich Reifenhäuser in einem Interview aus dem Jahre 2016 mit Carsten Seim für den Unternehmer-Club pro Troisdorf: „Tatsächlich sank das Auftragsvolumen auf 30 Prozent des Vorjahresniveaus. Das fühlte sich böse an! Wochenlang hatten wir den Eindruck: Es ruft keiner mehr an! Das Instrument der Kurzarbeit in dieser Krisensituation war für uns und unsere Belegschaft in dieser Zeit sehr hilfreich.“ Heute steht das Familienunternehmen besser da denn je.
Reifenhäuser ist bis heute weltweiter Technologieführer im Extruderbau. Technische Highlights waren die Entwicklung der Doppelschnecken-Extruder im Jahr 1972 und des Reitruders in den 80er-Jahren, der über ein gleichlaufendes Schneckenpaar verfügte. Weitere technische Innovationen und zahlreiche Patente kamen hinzu. Ein Meilenstein ist die Erfindung der Vakuumkalibriertechnik, die Fritz Reifenhäuser 1954 präsentierte. Diese in Troisdorf entwickelte Technologie ist seit Jahrzehnten das einzige Verfahren, um Kunststoff-Hohlprofile herzustellen, die beispielsweise für Fensterrahmen und Rohre benötigt werden. Weltweit führend sind die Troisdorfer Maschinenbauer auch bei Spinnvliesanlagen. Die damit hergestellten Kunststoffprodukte dienen beispielsweise zur Herstellung von Hygieneeinlagen und Agrarvliesen.
Der Generationenwechsel: Hans und Fritz Reifenhäuser gaben zum 1. November 1992 die Geschäftsführung ab. Ulrich und Klaus Reifenhäuser, Söhne von Hans und Ursula Reifenhäuser, übernahmen die Geschäfte. Zum 1. November 2008 stieg auch der jüngste Sohn des Unternehmer-Ehepaares, Bernd Reifenhäuser, in die Geschäftsführung ein. Er hatte zuvor Erfahrungen in der Automotive-Branche gesammelt. Heute ist er Vorsitzender der Geschäftsführung. Ihm zur Seite stehen seit 2017 sein Bruder Ulrich Reifenhäuser (Vertrieb) sowie Dr. Bernd Kunze (Technik und Strategie) und Karsten Kratz (Finanzen). Das gesamte Führungsteam verfügt über langjährige Erfahrung in der Reifenhäuser Gruppe. Klaus Reifenhäuser ging nach 30 Jahren im familieneigenen Unternehmen in den Ruhestand. Er bleibt ihm aber als Gesellschafter weiterhin verbunden. Auch das ist üblich für ein Familienunternehmen – die langjährige Kontinuität in der Personalpolitik und Loyalität. „Technologie alleine reicht nicht. Erfolg basiert auf einem guten Umgang mit Kollegen, Kunden, Lieferanten und Partnern“, heißt es dazu auf der Internet-Präsenz der Gruppe.
Reifenhäuser heute
Die Reifenhäuser Gruppe beschäftigt national und international rund 1500 Mitarbeiter. In Troisdorf arbeiten derzeit knapp unter 1000 Menschen. Der Gruppenumsatz beläuft sich auf rund eine halbe Milliarde Euro. 95 Prozent der Wertschöpfung erzielt das Unternehmen hierzulande.
Weitere Standorte in Deutschland: Heinsberg, Kabelsketal (Leipzig), Kelberg/Eifel, Worms und Troisdorf-Bergheim. Eine Fertigungsstätte in den USA kam im Jahre 2015 dazu. Weltweite Niederlassungen in Chile, VR China, Dänemark, Indien, Italien, Philippinen, Russland, Singapur, USA und Vietnam sowie rund 60 Vertretungen weltweit sorgen für den direkten Kontakt mit unseren Kunden.
Zur Unternehmensgruppe gehören Reifenhäuser Blown Film | Reifenhäuser Blown Film Polyrema | Reifenhäuser Blown Film Plamex (3- bis 12-Schicht Blasfolienanlagen), Reifenhäuser Cast Sheet Coating (Gießfolien-, Glättwerks- und Extrusionsbeschichtungsanlagen), Reifenhäuser Reicofil (Spinnvlies-, Meltblown und Compositeanlagen), Reifenhäuser Extrusion Systems (Reifenhäuser Reiloy: Hochverschleißfeste Schnecken und Zylinder für Extrusion und Spritzguss), Reifenhäuser Enka Tecnika und Reifenhäuser Digital (Industrie 4.0, intelligente Produktion).
Reifenhäuser und Troisdorf
Ulrich Reifenhäuser: „Troisdorfs Kunststoff-Tradition ist mir sehr wichtig. Denn damit begann nach dem Krieg unser Aufstieg zum Weltmarktführer im Extruder-Bau. Unsere Hauptkunden sitzen heute im Ausland. Moderne Kommunikationswege eröffnen neue Absatzmärkte. Es bleibt aber dabei: Troisdorf ist als Hauptstandort der Reifenhäuser-Gruppe gesetzt!“
Troisdorfs Bürgermeister Klaus-Werner Jablonski: „Der Aufstieg von Reifenhäuser ist ein sicher auch deutschlandweit herausragendes Beispiel für die Dynamik, die unternehmerische Initiative entfalten kann. Bis heute ist dieses Unternehmen in Familienbesitz. Familienunternehmen haben eine besondere, in diesem Fall über drei Generationen gewachsene, Loyalität zum Standort und zu ihren Mitarbeitern. Deshalb sind sie wertvoll für ihre Heimatstandorte. Vielfach sind Familienunternehmer vor Ort auch sozial engagiert. In diesem Kontext möchte ich auch die 2015 verstorbene Ursula Reifenhäuser, Ehefrau von Hans Reifenhäuser, erwähnen, die langjährig Mitglied der CDU-Fraktion im Troisdorfer Stadtrat war.“