Verkehrsplaner gehen davon aus, dass in fünf bis sieben Jahren LKWs und PKWs zunächst auf der Autobahn, in 10 bis 15 Jahren auch in den Städten selbst fahren werden ohne Zutun des Fahrers. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur werden sich daran orientieren müssen. Das Netzwerk intelligente Mobilität e.V. (NiMo) mit Sitz in Troisdorf-Oberlar veranstaltete in der Stadthalle Troisdorf eine Konferenz über „Das selbstfahrende Auto: Chancen und Risiken für die Stadtgesellschaft und den ÖPNV“.
Bürgermeister Klaus-Werner Jablonski sowie der Vorsitzende des Vereins Netzwerk intelligente Mobilität, Michael Schramek, und sein Stellvertreter Ronny Wächter begrüßten die 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz. Dazu gehörten Vertreterinnen und Vertreter aus Verkehrsverbünden, Kommunen und Stadtwerken aus dem Bundesgebiet, die gemeinsam den umfassenden Wandel der Mobilität erörterten.
"Ich freue mich, dass wir mit dem Netzwerk intelligente Mobilität eine Einrichtung in unserer Stadt haben, deren Mitglieder vorausdenken, Visionen entwickeln und Chancen und Risiken technischer Entwicklungen kritisch abwägen. Das geschieht interdisziplinär. Anders geht es in einer komplexen Gesellschaft auch gar nicht mehr", erklärte Bürgermeister Jablonski.
Allerdings ist er auch ein wenig skeptisch: "Viele Autobesitzer wollen wahrscheinlich das Lenkrad gar nicht loslassen. Sie wollen lieber die Kraft des Wagens und ihr eigenes Adrenalin beim Lenken und Gasgeben spüren."
Aber die Technik ist schon seit längerem weiter: Es gibt die selbstfahrenden Autos und sie werden das Bild unserer Städte und die Verkehrsinfrastruktur epochal verändern. Allerdings steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen. Zur Situation in Troisdorf erklärte Bürgermeister Jablonski:
"In Troisdorf setzen wir bis dahin auf einen attraktiven und intelligenten Verkehrsmittel-Mix. Unsere Busse haben Vorrangschaltung an Ampeln, wir sind seit 26 Jahren fahrradfreundliche Stadt, haben Fahrradstationen an den Bahnhöfen, fördern das Car Sharing und setzen Elektrofahrzeuge ein. Der technische Wandel birgt immer sowohl Chancen als auch Risiken und er bringt wieder neue technologische Herausforderungen hervor".
Die verschiedenen Fachbeiträge aus Wissenschaft und öffentlicher Verwaltung zeigten Möglichkeiten und Lösungen auf, wie alternative Mobilitätsformen in den ÖPNV integriert werden können, um ein attraktives und wettbewerbsfähiges Angebot zu gestalten. Zu den Referenten gehörten der renommierte Verkehrsplaner Prof. Heiner Monheim, Universität Trier, und Prof. Stephan Rolfes, Stadtwerke Osnabrück.
Infos zum Netzwerk intelligente Mobilität, Troisdorf, unter www.nimo.eu
Hier die Kurzfassungen der Referate:
Die Auswirkungen des selbstfahrenden Autos auf die Stadtgesellschaft und auf den Verkehrsmittelmix
Michael Schramek, Vorsitzender NiMo e.V.
Das selbstfahrende Auto wird schrittweise über zunehmende Assistenzsysteme die Straßen erobern. Die ersten Oberklassefahrzeuge mit hoch automatisierten Autopiloten sind schon unterwegs, in den nächsten 2-3 Jahren wird die Fahrzeugpallette deutlich zunehmen. Ende des Jahrzehnts werden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen sein, damit Fahrzeuge offiziell hoch automatisiert fahren dürfen, erst auf den Autobahnen, später schrittweise auch auf dem Land und zuletzt in den Städten.
Dieses neue Verkehrsmittel, welches schrittweise getarnt als normaler Pkw mit immer neuen Assistenzsystemen in Erscheinung tritt, wird unser Leben schnell und umfassend verändern. An vielen Stellen wird es einfacher, sicherer und kostengünstiger. Distanzen werden unwichtiger, Reisezeiten relativieren sich. Es zählt nicht mehr die Freude am, sondern beim Fahren. Viele können sich heute noch nicht vorstellen, das Lenkrad aus der Hand zu geben. Doch wenn man die Menschen in der S-Bahn beobachtet, dann sieht man, was die Menschen während der Fortbewegung eigentlich wollen.
Wenn der Nutzen während der Fahrt und nicht mehr die Fortbewegung an sich im Vordergrund steht, so unterscheidet sich von Fahrt zu Fahrt das Fahrzeug, welches diesen am besten erfüllt. Wir kennen das vom Cabrio oder Motorrad. Ein einzelner Privat-Pkw kann das nicht leisten. Sharing-Konzepte werden attraktiver, weil diese besser geeignet sind, einen ständig wechselnden Bedarf zu decken.
Doch hat das selbstfahrende Auto auch seine stark ausgeprägte Kehrseite. Es verleitet dazu, deutlich mehr und längere Fahrten zu unternehmen, außerdem bringt es uns auch auf der Ultrakurzstrecke - ohne Zeitverlust für Wege zwischen Haustür und Parkplatz sowie ohne Parkplatzsuchzeit – bequem und schnell von A nach B. So ungefähr wie auf dem Land, wo die meisten Menschen selbst die kürzesten Wege zum Bäcker oder Metzger mit dem Auto fahren. Bewegungsmangel und Informations-überfluss im Connected Car werden unsere Gesundheit beeinträchtigen, die zunehmenden Entfernungen sowie die Vereinzelung unserer Fahrten werden unsere sozialen Bindungen schwächen.
Autonomes Fahren im Stadtverkehr - Auswirkungen und Handlungsansätze für die kommunale Verkehrsplanung
Katharina Brecht, Strategische Verkehrsplanung der Freien Hansestadt Bremen
Der Vortrag „Autonomes Fahren im Stadtverkehr – Auswirkungen und Handlungsansätze für die kommunale Verkehrsplanung“ greift zunächst die Entwicklungsstufen des autonomen Fahrens auf. Unabhängig der von der Autoindustrie geplanten Einführung der autonomen Fahrzeuge (nach 2030), wird aufgezeigt, dass sich die Deutschen bisher nur wenig aufgeschlossen gegenüber autonomen Fahrzeugen zeigen.
Im Anschluss werden schlagpunktartig erwartete Folgen des autonomen Fahrens dargestellt, um ihr Auftreten in den Kontext möglicher Szenarien zu setzen. Dabei beschränkt sich der Vortrag auf zwei Szenarien: „überwiegender Kollektivverkehr“ und „überwiegender Individualverkehr“. Anhand dieser wird herausgearbeitet, dass sich die positiven Wirkungen des autonomen Fahrens vor allem mithilfe des Szenarios „Kollektivverkehr“ dauerhaft etablieren. Als Gegensatz dazu können die positiven Fol-gen zu einem Rebound-Effekt und somit vorwiegendem Individualverkehr mit einer Verstärkung der negativen Folgen führen.
Auf dieser Grundlage stehen die Steuerungsmöglichkeiten im Vordergrund, welche die Möglichkeit bieten, Einfluss auf die gewünschte Entwicklung zu nehmen bzw. den Auswirkungen der negativen Folgen des autonomen Fahrens gegensteuern zu können. Hierbei stehen zum einen die Instrumente im Vordergrund, die bereits heute den Kommunen und Verkehrsunternehmen zur Verfügung stehen. Zum anderen wird eine Auswahl von Maßnahmen vorgestellt, die nach der Einführung autonomer Fahrzeuge eingesetzt werden sollen.
Ist das selbstfahrende Auto das Ende des ÖPNV in Stadt und Land?
Prof. Stephan Rolfes, Vorstand der Stadtwerke Osnabrück
Autonomes Fahren wird kommen. Und zwar schneller, als wir uns das heute denken. Dadurch wird auch ein Schritt mehr zu einer „funktionalen Betrachtung“ des Fahrens mit einem Auto gemacht. Die Funktion der Mobilität tritt in den Vordergrund, die Emotionalität des Autos tritt eher zurück.
Für den ÖPNV ergeben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten. Kleinere Fahrzeuge, Haustür-zu-Haustürbeförderung, Nebenverbindungen zu ungewöhnlichen Zeiten – alles wird möglich. Wenn wir davon ausgehen, dass heute mehr als 50 % der Kosten des ÖPNV Personalkosten sind, zeigt dies die (finanziellen) Möglichkeiten des „autonomen Fahrens“.
Der ÖPNV mit großen Fahrzeugen (Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen usw.) wird trotzdem seinen Stellenwert behalten. Allein aufgrund des Flächenverbrauchs in den Innenstädten, der Schnelligkeit und des Komforts werden immer dann, wenn zur gleichen Zeit viele Menschen in die gleiche Richtung wollen, große Fahrzeuge von Vorteil sein.
Heutige Busanbieter, die diese Zukunft nicht sehen, leben allerdings mit dem Risiko, im Abseits zu landen. Heutige Busanbieter, die die Chancen erkennen und gerade mit Blick auf „autonomes Fahren“ zum umfangreichen Mobilitätsanbieter werden, werden zu den zentralen Akteuren der Mobilität der Zukunft werden.
Autonomous Driving - Eine weltweite Social Media Studie zur Technologiewahrnehmung
Volker Bilgram, Geschäftsführer HYVE Innovation Research
Autonomes Fahren (AF) soll DIE große „disruptive Innovation“ der kommenden Jahre werden. Die HYVE Science Labs haben jetzt in Kooperation mit dem Institut für Innovationsmarketing an der TU Hamburg-Harburg und INSIUS eine einzigartige internationale Studie mit dem Titel „Autonomous Driving: The User Perspective“ veröffentlicht.
Dem Titel entsprechend liegt der Fokus auf der Nutzerperspektive und der Akzeptanz gegenüber Autonomes Fahren. Im Zuge der Studie wurden über 100.000 englischsprachige, öffentliche online Kommentare zum Thema analysiert. Der Großteil dieser Kommentare wurde gegenüber dem Thema als „positiv eingestellt“ eingestuft – eine Erkenntnis, die in klarem Gegensatz zu den Ergebnissen der renommiertesten Studien auf dem Gebiet steht.
Ziel der neuesten Publikation der HYVE Science Labs war es, Konsumenten und ihre Akzeptanz zu verstehen – was im Kontext von Autonomes Fahren bisher kaum Beachtung fand. Eine Tatsache, die angesichts einer Umfrage, die vom IEEE , dem weltweit größten Berufsverband für die Weiterentwicklung der Technologie, durchgeführt wurde, verwundert. Die im Jahr 2014 befragten 200 Experten nannten demnach neben der Gesetzeslage und den Entscheidungsträgern ausgerechnet Kundenakzeptanz als eine der drei größten Hürden in der Etablierung von fahrerlosen Autos in der breiten Masse.
Potenziale des selbstfahrenden Autos für den Stadtkonzern, heute und in 10 Jahren
Michael Schramek, Vorsitzender NiMo e.V.
Die Einführung des selbstfahrenden Auto bedarf der bewussten Flankierung mit verschiedensten Maßnahmen, damit es seine positiven Potenziale weitestmöglich entfaltet und seine negativen Sei-ten möglichst eingedämmt werden. Dazu gehören regulatorische Maßnahmen, die den exzessiven Gebrauch dieses neuen Verkehrsmittel eindämmen, ebenso wie solche, die die Nutzung anderer, nachhaltiger und gesundheitsfördernder Fortbewegungsmöglichkeiten, unterstützen.
Von besonderer Bedeutung ist aber auch die Gestaltung der Übergangsphase. Nur wenn es gelingt, frühzeitig möglichst viele Menschen von der regelmäßigen Fortbewegung ohne Auto zu begeistern, werden sie dann, wenn das selbstfahrende Auto die höchste Bequemlichkeit aller Verkehrsmittel bietet, bewusst und mit Spaß viele Wege zu Fuß und mit dem Rad, bei weiteren Wegen in Kombination mit dem ÖPNV gestalten.
Ohne Begeisterung für alternative Verkehrsmittel werden die Menschen weder den ÖPNV noch die aktiven Formen der Nahmobilität nutzen. Die wenigsten sind über-zeugte ÖPNV-Nutzer. Wenn der Pkw als selbstfahrendes Freefloating-CarSharing-Angebot günstig von Tür zu Tür fährt, gibt es keinen wirklich rationalen Grund mehr für die Nutzung von Bus und Bahn.
Einen wichtigen Baustein für die Gestaltung der Übergangsphase stellt das CarSharing dar. Nur wenn die Verfügbarkeit eines Sharing-Fahrzeugs zu günstigen Preisen wohnortnah sichergestellt ist, stellt die Abschaffung des eigenen Pkw tatsächlich eine realistische Option dar. Erst die Abschaffung des eigenen (Zweit-)Pkw führt bei den meisten dazu, dass die Pkw-Nutzung nicht mehr die Regel, son-dern die Ausnahme darstellt.
Der schnelle Aufbau eines flächendeckenden CarSharings kostet im Regelfall viel Geld, weil am An-fang die Fahrzeuge nur eine geringe Auslastung erfahren. Mercedes und BMW konnten sich das mit dem Kapital eines Automobilkonzerns beim Rollout von Car2Go und DriveNow in gewissem Umfang leisten, für einen Stadtkonzern ist das im Regelfall nicht möglich. Dabei verfügt er über einen großen Bestand an Dienst-Pkw, der bei geschickter Umstrukturierung die ausbaufähige Basis für ein attrakti-ves CarSharing-Angebot darstellen kann. In einem gesteuerten Prozess lassen sich viele weitere Fahrzeuge, die heute als Privat- oder Firmenwagen integrieren, so dass das Angebot schnell wachsen kann, ohne hohe Investitionen zu erfordern.
Die Mitarbeiter des Stadtkonzerns sowie weiterer Behörden und staatlicher Betriebe machen ca. 10% der arbeitenden Bevölkerung einer Stadt aus. Gleichzeitig ist das Potenzial, als Stadtkonzern das Mobilitätsverhalten dieser Menschen und ihrer Familien über Maßnahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements zu beeinflussen, aufgrund des Arbeitgeberverhältnisses am höchsten. Werden der Aufbau des Car- und BikeSharing-Angebots mit den sonstigen Maßnahmen des Mobilitätsmanagements bewusst gepaart, so sind schnelle Veränderungseffekte zu erwarten, auf deren Basis wiederum weitere Arbeitgeber zum Mitmachen gewonnen werden können.
Bei raschem und konsequenten Handeln kann der Umstieg auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes noch rechtzeitig gelingen. Bevor das selbstfahrende Auto die Mehrheit vereinnahmt hat.
Intelligente Autos, intelligente Straßen, intelligente Verkehrsfinanzierung - wie wahre Preise zur Verkehrswende beitragen
Prof. Heiner Monheim, raumkom, Institut für Raumentwicklung und Kommunikation
„Steinzeit trifft Neuzeit“: Während die deutsche Politik für die PKW-Maut eine antiquierte, technik-feindliche Vignettenlösung („pauschalierte Ausländermaut“) einführen wollte, bringen Software- und App-Entwickler für Smartphones immer neue intelligente, differenzierte, schnelle, echtzeitfähige Mobilitätsdienstleistungen auf den Markt. Die IT arbeitet engagiert an Werkzeugen für autonome Autos („google car“). Trotzdem agiert die deutsche Verkehrspolitik noch ziemlich hilflos gegenüber den Optionen, die eine digitale Vernetzung der Verkehrsteilnehmer und Verkehrsmittel sowie digital unterstütztes Car-, Bike- und Ridesharing eröffnen könnten. Wäre dann nicht auch eine intelligente kommunale PKW-Maut ein probates Mittel für wahre Preise im Verkehr und eine wirkungsvolle Sanierung der desolaten kommunalen Finanzen? Und könnte bei einer digitalen Nachrüstung der Straßen und Plätze nicht auf alle Verkehrszeichen verzichtet werden, weil für jede Straße in einem demokratischen Prozess die Verhaltensregeln intelligent digital implementiert werden, die den Fahrzeugverkehr digital steuern.