Quetschungen
Skulptur von Reinhold Georg Müller
Der Erfolg Reinhold Georg Müllers beruht zum einen auf der konsequenten Verfolgung seines einmal gefundenen Themas, das er in immer neuen, interessanten Variationen abzuwandeln versteht, zum anderen auf seiner außerordentlichen Sensibilität für Material und Form. In der Tat bestechen die Skulpturen Müllers durch ihre große Ästhetik, durch ihre weichen Strukturen, die sich aus Wülsten und Vertiefungen ergeben, und ihre glatt bearbeiteten Oberflächen. Der Betrachter ist angetan von der Anmut der Steine Müllers wie auch von der kühlen Schönheit der industriegenormten Metalle, mit denen der Künstler immer wieder seine Skulpturen bereichert. Die Metalle stehen kontrastierend zum Stein und machen durch ihre auffallend andere Beschaffenheit auf das Hauptthema Müllers aufmerksam nämlich auf die Tatsache, dass jede Bearbeitung eines Steins zugleich bedeutet, ein Naturmaterial in neue Formen zu zwingen. Dabei hat der Stein, der aus seiner natürlichen Umgebung gerissen und den künstlerischen Vorstellungen angepasst wurde, den klassischen Kampf zwischen Mensch und Natur verloren. Die Natur hat sich der Norm des Menschen angepasst - wie eben auch der Mensch sich der Norm der Gesellschaft unterwirft.
In zahlreichen Arbeiten zeigt Reinhold Georg Müller die von außen auf den Stein einwirkenden Kräfte. Symbolisch setzt der Künstler Verschraubungen an, legt seine Skulpturen in Ketten, baut Steine in Stahlgerüste ein oder befestigt Bolzen. Der von außen scheinbar wirkende Druck verformt den Stein, verfremdet das Material. Der Stein wirkt „gequetscht“ so als wäre er in seinem magmatischen Urzustand noch plastisch formbar. Mit dieser Quetschung löst Müller fast irreal anmutende Vorstellungen aus: Er gibt vor, dass man Steine foltern kann, dass man sie presst und staucht, als seien sie nachgiebig und weich wie ein Schwamm.
Schon früh übertrug Reinhold Georg Müller seine gestalterischen Vorstellungen auf gesellschaftliche Zustände. Der Stein wurde zum Symbol des Menschen und zeigt dessen reale Situation: Zwänge, mit denen sich der Mensch im alltäglichen Lebenskampf auseinander setzen muss. Diese gesellschaftlichen Zwänge schränken das Individuum ein, hindern es daran, das zu tun, was es gerade möchte. Doch lässt der Mensch den äußeren Zwang nur bis zu einem gewissen Grad zu, dann beginnt er sich dem Druck zu widersetzen.
Auch dies macht Müller in seinen Skulpturen sichtbar. Trotz aller „Folterungen“, die an dem Stein vollzogen werden, zerbricht er nicht. Vielmehr begegnet er ab einem gewissen Zeitpunkt den von außen wirkenden Einflüssen mit einer Gegenkraft, die den Künstler und Betrachter zugleich auf die eigentliche Härte und die innewohnende Würde des steinernen Materials aufmerksam macht.
Seit Jahren setzt sich Reinhold Georg Müller immer wieder mit diesem einen Thema auseinander. Er selbst äußerst dazu, dass man sich „in der kurzen Dimension seines Lebens (...) auf wesentliche Dinge konzentrieren“ muss. Unermüdlich verfolgt er sein künstlerisches Ziel, immer auf der Suche nach der absoluten, vollendeten Skulpturenform, die die Kräfte veranschaulicht, die den Stein charakterisieren und ihn zugleich gewaltsam verändern.