Mutter und Kind und das Leben
Skulptur von Selvino Cavezza
Der gebürtige Italiener Selvino Cavezza wohnt und arbeitet in seiner Wahlheimat Düsseldorf. Hier, in seiner Werkstatt am Rhein, entstehen die Entwürfe zu seinen Skulpturen zunächst auf dem Papier, die Cavezza dann in grazile Gipsformen überträgt. Erst im Anschluss daran erfolgt der eigentliche abschließende Bronzeguss.
Dieses Verfahren führte auch zu der für den Troisdorfer Ursulaplatz geschaffenen Skulptur „Mutter und Kind & Das Leben“. Es handelt sich hierbei um eine hoch aufragende Skulptur, die sich nach unten hin verjüngt, während rundere Formen den oberen Bereich abschließen. Dieser Gegensatz zwischen unten und oben setzt sich fort. Eine stelenhafte, nahezu geschlossene Einheit, die gleichsam aus dem Sockel herauszuwachsen scheint, steht in Kontrast zu Negativ- und Positivformen, die sich wechselseitig beeinflussen, sich gegenseitig aufnehmen und auflösen, um sich schließlich zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinen.
Die Kunst Cavezzas ist nicht laut und aufdringlich, vielmehr wirkt sie bescheiden und leise. Damit spiegelt sie wichtige Charakterzüge des Künstlers, der sich introvertiert und wortkarg gibt. Seine künstlerische Arbeit dient Cavezza als Ventil, das ihn aus seiner menschlichen Verschlossenheit befreit und ihm die Möglichkeit gewährt, offen zu kommunizieren. Diese Kommunikation ist nicht auf Provokation aus. Auch stellt sie nicht gesellschaftliche oder politisch aktuelle Themen in den Vordergrund. Vielmehr richtet Cavezza seinen künstlerischen Blick nach innen. Mit gleichsam philosophischen Denkansätzen sucht er menschliche Wahrheiten zu erkunden und so erzählt er von der Freude der Menschen ebenso wie von deren Lust, Liebe, Hoffnung und Leid. In seiner Troisdorfer Skulptur „Mutter und Kind & Das Leben“ verbildlicht der Künstler sogar ein Sujet, das zu den sogenannten „Letzten Fragen“ der klassischen Philosophie zählt. Es geht dabei um den ewigen Kreislauf der Natur, der Leben und Tod in sich trägt.
Dieses immer währende Werden und Vergehen symbolisiert Cavezza durch die Darstellungen von Mutter und Kind. Eng sind sie in der Skulptur miteinander verbunden, durch ihre konkav und konvex gestalteten Rundungen rhythmisch aufeinander abgestimmt. Ein idealisiertes Bild menschlicher Harmonie erscheint vor den Augen des Betrachters, wobei das Thema sich ansatzweise zu verselbständigen scheint. Dies wird anhand der Formen deutlich, die spielerisch kreativ miteinander verbunden sind.
Gerade mit diesem Formenspiel lehnt sich Selvino Cavezza an die Kunst des Russen Alexander Archipenko (1887-1964 ) an. Neben Pablo Picasso (1881-1973) galt Archipenko als einer der bahnbrechendsten Bildhauer des beginnenden 20. Jahrhunderts. Mit seiner 1912 geschaffenen Skulptur „Schreitende“ verbildlichte er zum ersten Mal seine Theorie der „Komplementärformen“: Jede Höhlung erzeugt ihr imaginäres Gegenbild. Als kühnes Ergebnis seines künstlerisch theoretischen Ansatzes formte Archipenko den Kopf seiner „Schreitenden“ nicht als vorgewölbtes Rund, sondern sparte ihn negativ aus. Gleiches zeigt sich auch bei Cavezza. Der Italiener stellt sich damit in eine lange Tradition, greift zugleich aber auch gedankliche Prozesse auf, die die Skulptur des 20. Jahrhunderts revolutionierten und bis heute entscheidend beeinflussen.