Dicker Mann
Skulptur von Prof. Karl-Henning Seemann
„Es ist eine Schande für die Kunst, wenn man sieht, wie in den Fußgängerzonen unserer Städte die scheußlichen, nackten, dicken Männer immer mehr um sich greifen.“
Dieser publizierte Ausspruch eines bedeutenden Bildhauers der Moderne war nur eine der Reaktionen, die die Skulptur Seemanns 1987 in Troisdorf hervorrief. Niemand hätte zuvor erwartet, welche lebhafte Diskussion die Bronzefigur in der Stadt, aber auch regional und überregional auslösen würde. Den Höhepunkt erreichte die (kulturpolitische) Auseinandersetzung, als Kunstbegeisterte vorschlugen, Geld zu sammeln, um den „Dicken“ zu erwerben. Im Ergebnis siegten die Befürworter und die Skulptur Seemanns wandelte sich alsbald zu einem der künstlerischen Wahrzeichen Troisdorfs.
Der Anlass, der zur Aufstellung des „Dicken Mannes“ führte, war eigentlich ein ganz harmloser. Im Rahmen des sogenannten „Troisdorfer Kunstgangs“ wurden gleich drei künstlerische Unternehmungen in Troisdorf zusammengefügt: eine Tunnelbemalung, eine Skulpturenschau der ansässigen Galerien und ein Brunnenobjekt. Gemeinsam ergänzten sie sich zu urbanen Markierungspunkten, die einen Weg entlang der Kunstwerke erlaubten.
Zu diesem „Kunstgang“ hatte man den „Dicken Mann“ Seemanns in den Brunnen gestellt, der sich unmittelbar neben dem Troisdorfer Bürgerhaus befindet. Von dort blickte die Skulptur in Richtung Bahnhof, um die Kunstgänger aus der Ferne zu begrüßen. Erst auf Wunsch Seemanns entfernte man die Skulptur aus der Brunnenanlage und drehte sie um 180°. Der dicke Bauch des Dargestellten streckt sich jetzt den Fußgängern entgegen, die nach einem Stadtbummel die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, um heimzukehren.
Zwei Aspekte waren es, die immer wieder Kritik an dem Kunstwerk „Dicker Mann“ hervorriefen: die Nacktheit des Mannes und die entstellte Physiognomie.
Im Werk Seemanns spielt der Mensch seit jeher eine zentrale Rolle. Doch sucht der Künstler nie die menschliche Idealfigur widerzugeben. Er findet seine Modelle in alltäglichen Gestalten. So wurden fette Männer und aus der Form geratene Frauen für Seemann gleichsam zum Markenzeichen. Gerne setzt der Künstler diese Skulpturen in Beziehung zueinander oder in Konfrontation zum betrachtenden Passanten. Es sind Dialoge, die in dieser Gegenüberstellung entstehen. Gerade damit verlangen Seemanns Figuren nach öffentlichem Raum, nach städtischen Straßen und Plätzen , wo sie dem Passanten in den Weg treten und ihn zur Auseinandersetzung auffordern - zumindest aber zu einer Reaktion provozieren.
Ein weiteres künstlerisches Anliegen Seemanns ist es, die formalen Kräfte und Spannungen eines Körpers sichtbar zu machen. „Dieses Problem, Bewegung in plastische Form zu übersetzen, ist für mich das Allerwichtigste“, äußerte der Künstler in einem Interview.
Der „Dicke Mann“ Troisdorfs lässt beides, Bewegung und Körperspannung, stark vermissen. Mit herabhängenden Schultern und weit vorstehendem Bauch wirkt er eher wie eine karikaturhaft überspitzte Erscheinung, die sich schlaff, abgespannt und müde der Öffentlichkeit präsentiert. Zu erklären ist diese Haltung durch das Vorbild, dessen sich Seemann zur Erstellung der Skulptur 1967/68 bediente. Angeblich spiegelt der „Dicke Mann“ einen 35-jährigen Arbeiter aus Wolfsburg, dessen Körper unter den Einwirkungen von Hunger, Durst und einem Rückenleiden seine spezifische Ausformung erhielt.
Hier gelangen Sie zu dem Kunstwerk im Geoportal.