Drei Fragmente
Drei Fragmente
Skulptur von Irmgard Flemming
„Der Mensch von heute ist ein Fragment“, äußerte Joseph Beuys (1921-1986), der mit seiner künstlerischen Tätigkeit so häufig die Krise der heutigen Menschheit und Zivilisation aufzeigte. Irmgard Flemming nimmt Beuys beim Wort und setzt mit ihren Arbeiten diese menschliche Fragmentierung ins Werk.
Aus Bronze gestaltet sie Plastiken, die Teile eines menschlichen Körpers wiedergeben. Dieser Körper ist dort, wo er ausgeformt wurde, realistisch nachgebildet. Doch endet die angedeutete Schulter oder der einseitig begonnene Brustkorb unvermittelt. Bruchstellen werden sichtbar, die sich ungeschönt zeigen. Sie stehen gestalterisch in krassem Gegensatz zu der sonst glatt polierten Oberfläche der Plastiken. Vor allem vermitteln sie einen Eindruck, den Irmgard Flemming immer wieder aufs Neue beim Betrachter hervorrufen möchte: Die Skulpturen der Künstlerin wirken zu großen Teilen zerstört. Tatsächlich scheint es so, als seien die Arbeiten Flemmings, nachdem sie vollendet waren, heruntergefallen und beschädigt worden. Doch ist die Zerstörung ein fester Bestandteil der Werke Flemmings. Mit ihr nimmt die Künstlerin auf Interpretationsebenen Bezug, die ihre Skulpturen zugleich in Beziehung zur Gesellschaft des 20. Jahrhunderts wie auch zu berühmten Plastiken der griechisch-römischen Antike setzen.
Von antiken Gedenkstätten und Prachtbauten, die immer auch mit Steinskulpturen geschmückt waren, kennen wir die berühmten Fundstücke Jahrtausende alter Statuen wie z.B. den Torso von Belvedere oder die Laokongruppe. Diesen Meisterwerken ist immer noch die Lebenskraft und die geheimnisvolle Aura zu eigen, die die Bildnisse großer Persönlichkeiten oder Historien längst vergangener Zeiten ausstrahlten. Neben dem erhebenden Gefühl lösen die immensen Beschädigungen, die diese Bildwerke aufweisen, beim Betrachter zugleich ein Gefühl der Trauer aus. Gerade mit diesem Zwiespalt spielt Flemming. Sie greift auf die Vitalität klassischer Kunst zurück, um sie sofort zu brechen. So zeugen ihre mit Absicht beschädigten Torsi zeitgleich von der Demonstration und dem Verfall menschlicher Größe. Während die Künstlerin als Bildhauerin im Jahre 1988 in Troisdorf tätig war, machte die Stadt einen „optimistischen aufstrebenden Eindruck“ auf sie. Trotzdem - oder gerade deshalb - entschied sich Flemming eine Skulpturengruppe zu schaffen, die darauf angelegt war, „der Gefährdung des Lebendigen zu gedenken“.
Drei bruchstückhafte Torsi stehen somit jetzt in der Grünanlage Sieglars. Sie werden von zwei Metalltischen getragen, die als Podeste fungieren. Mit ihren hohen schlanken Beinen wirken die metallenen Sockel provisorisch und instabil. Sie unterstützen damit subtil die Aussage der Skulpturen: Nichts ist für die Ewigkeit gemacht, sondern jedes Dasein auf Vergänglichkeit angelegt.
Für ihre Darstellung des menschlichen Verfalls verzichtete Irmgard Flemming auf große Gesten oder abstrahierende Formen. Ihre Arbeiten verunsichern den Betrachter und erreichen eine beinah surreale Dimension. Es versetzt den Betrachter doch eben in Erstaunen, auf einer Parkbank zu sitzen, während hinter ihm menschlich dargestellte, zerstörte Körper die Vergänglichkeit des Seins zur Schau stellen. Eine irrationale Situation ergibt sich, die ganz unbewusst einen Denkprozess über das Werden und Vergehen der Dinge in Gang setzt.