Les voiles
Les voiles
Skulptur von Tony Long
„Natalexos“ hieß ein zwölf Meter langes, tonnenschweres, schwebendes Stahl-Schiff, das 1986 während des „steirischen herbst“ als gewichtiges Exponat im Skulpturenpark des Grazer ORF-Landesstudio aufgestellt wurde. Tony Long, der Schöpfer dieser Arbeit, hatte sein „Raum-Gedicht“ nach seinen Kindern Natascha und Alexander benannt. Dies erscheint ungewöhnlich, da Longs Titel zumeist geografisch markiert („Traisen“ oder „Lilienfeld“) sind oder schlicht „Fremder“ heißen. Deutbar werden die Kunstformen Longs jedoch allein aus ihren Strukturen.
Tony Long arbeitete am liebsten mit Metall, mit Eisen und Stahl. Biegsam und spröde zugleich, in dünnen Blechen und massiven Blöcken einsetzbar, nahm Long damit Bezug auf die gestalterischen Materialien der 30er Jahre. In dieser Vorkriegszeit wandelten sich Eisen und Stahl zum bevorzugten Werkstoff der Avantgarde, der von Pablo Picasso (1881-1973), Alexander Calder (1898-1976), später von David Smith (1906-1965), Anthony Caro (1924) oder Eduardo Chillida (1924-2002) bevorzugt verwendet wurde. Das neue Material schuf dabei eine eigene, neue Sprache. Es ließ sich stilistisch unterschiedlich einsetzen und brachte eine Ästhetik hervor, die viele Entwicklungen zusammenfasste.
Gestalterisch zeigte sich Tony Long vor allem durch die französischen Expressionisten wie Marcel Duchamp (1887-1968), Max Ernst (1891-1976) oder Man Ray (1890-1976) beeinflusst. Das handwerkliche Geschick und die Formverwendung schaute er sich bei Jean Tingueley (1925-1991) ab, die spezielle Handhabung des stählernen Materials bei Anthony Caro. Typisch für Long ist es, das Rosten des Materials als gewünschte Patina in die Wirkung seiner Werke einzubeziehen. Der Rost vollzieht die Feinarbeit am künstlerischen Werk und macht dabei die Zeitbezogenheit der gestalterischen Arbeit anschaulich. Die Skulptur „Les Voiles“, die Long 1988 für die Stadt Troisdorf schuf, zeugt deutlich von dieser Handschrift des Künstlers.
Am Ufer des Rotter Sees, auf einem großen Rasengelände, erhebt sich vor den Augen des Betrachters die Plastik Longs, die sich selbst wie eine weit gezogene Landschaft darstellt. Tatsächlich ist es möglich, durch die Skulptur von 7 x 7 Metern hindurch zu spazieren. Beim Durchschreiten fällt der Kontrast und das rhythmische Zusammenspiel von Linien und Flächen als Erstes auf: Rohre winden sich durch schwere, rechteckige, leicht gewölbte Stahlplatten. Hintereinander geschichtet, erzielen sie eine frappante Raumwirkung und strahlen eine spielerische Leichtigkeit aus. Die dünne Rostschicht verleiht dem Ganzen eine subtile Lebendigkeit.
Nach der inhaltlichen Bedeutung der Arbeit Tony Longs gefragt, ergeben sich viele Fragen. In den unterschiedlichen Schriftquellen wird die Skulptur als „Les Voiles“, „Anaik“, „Les Voiles d´Anaik oder „Les Voiles d´A“ bezeichnet. „Les Voiles“ stammt aus dem Französischen und heißt übersetzt „Die Segel“. Ein Schiff, ein Segelschiff, an den Ufern des Rotter Sees zu skulpieren, macht Sinn. Der Buchstabe „A“ und/oder die Bezeichnung „Anaik“ wirft jedoch bis heute Rätsel auf. Die Lebensgefährtin der letzten Lebensjahre Tony Longs, Mary Vogel, mutmaßte, dass „A“ für Alexander und somit für den Sohn Longs stehen könnte, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Anaik war aber auch der Name eines Künstlerfreundes. Wie in der schon genannten Ausstellung des „steirischen herbst“ war es für Long durchaus vorstellbar, Personennamen und Schiff in seinen Werken miteinander zu vereinen. Allerdings bleibt es nur eine Vermutung, ob sich das künstlerisch konstruierte Schiff in Verbindung mit Personen auch zum „Seelenschiff“ verwandelt, das - den Sagen nach – die Toten vom Diesseits ins Jenseits trägt.