Gratwanderung

Gratwanderung

Skulptur von Georg Wittwer

Zehn Jahre lang arbeitete Georg Wittwer als Gärtner unter anderem im Botanischen Garten der Stadt Bonn. Erst in seinem zweiten Ausbildungsweg wandte er sich dem Studium der Kunst und hier vor allem der Bildhauerei zu. Beides, bildhauerisches Gestalten und die Erfahrungen aus der gärtnerischen Tätigkeit, verbindet Wittwer in seiner Kunst.

So sind es häufig vegetative Formen wie Pflanzen und Früchte, die Wittwer zumeist überdimensional vergrößert aus dem Holz schnitzt und damit aus Naturmaterialien Naturformen schafft. Dieses in sich logische Prinzip verfolgt Wittwer aber nicht zwingend. In seinen „Maastricht Pieces“ legte der Künstler Äcker aus Beton an und teilte sie mit dem Handpflug in Furchen. Kornähren, die aus verzinktem Eisen gestaltet wurden, oder Gummibärchen, die Wittwer aus Holz fertigte, zeugen ebenfalls von den Gegensätzlichkeiten, die der Bildhauer in seinen Arbeiten eint. Den Widerspruch in seinen Werken nutzt Wittwer, die Welt in ihrer unendlichen Vielschichtigkeit vor Augen zu führen. Er selbst sagte dazu: „Die Welt ist so vielseitig. Da gibt es stets interessante Dinge zu entdecken, auf die es zu reagieren gilt.“ Wittwer reagiert, indem er Kunst schafft. Diese wirkt ästhetisch, bezweckt zumeist jedoch weit mehr. Exemplarisch zeigt dies die für Troisdorf gestaltete Skulptur „Gratwanderung“.

In den 90er Jahren wurde an der Straßenkreuzung Sieglarer Straße und Agnesstraße eine neue Ortsumgehung geschaffen. Auf dem Schutzwall, der im Rahmen dieser Straßenbaumaßnahmen entstand, verwirklichte Wittwer sein Projekt. Er sammelte Baumstämme, schälte sie und höhlte sie aus. In den Baumstamm gesägte Schlitze ermöglichten, dass der Hohlraum mit einem neuen Material verfüllt werden konnte. Insgesamt neun Tonnen Beton wurden gemischt und bilden nunmehr den Kern der den Wall bekrönenden „Baumschlange“. Nach eigenen Aussagen des Künstlers stellt die Skulptur die „Ablösung, das ineinander Übergehen von Natur und dem von Menschen Geschaffenen dar“. Zuerst wird „vor allem das natürliche, organische Material Holz zu sehen sein, welches sich mit den Jahren verändert und den anorganischen Kern aus Beton freigibt. Aber auch die freigelegte Form wird weiteren Veränderungen (stellenweiser Bewuchs in Vertiefungen) unterliegen“.

Wer besiegt wen, die Natur den Menschen oder der Mensch die Natur? Die Biographie Wittwers legt es nahe, dass sich der Spätberufene mit der Problematik vom Umgang des Menschen mit der Natur auseinandersetzt. Dabei ist es Wittwer wichtig deutlich zu machen, dass die Natur unter dem Einfluss des Menschen oftmals Schaden nimmt. Trotzdem gelingt es ihr hier und da, Stärke zu beweisen und sich zurückzuholen, was der Mensch ihr stahl.

Dieses Geben und Nehmen thematisiert Wittwer in seinem Werk „Gratwanderung“. Dass es nur im Kleinen spiegelt, was sich ebenfalls im Großen vollzieht, wird durch die unmittelbare Umgebung deutlich, in die der Künstler seine Arbeit integrierte. Am fernen Horizont zeigt sich die Silhouette des Siebengebirges, während direkt vor dem Schutzwall zahlreiche Autos über die Straße rollen. Vor den Ampeln der Kreuzung stehen sie aufgereiht – wie die hintereinander angeordneten Baumstämme des Kunstwerks. Formen korrespondieren und nehmen immer wieder erneut Bezug zum Verhältnis von Zivilisation und Natur. In Wittwers Werk ist dieses Verhältnis in einen Zustand gebannt, der sich nur allmählich verändern wird. Damit symbolisiert die Skulptur eine große Ruhe der Vergänglichkeit.

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