Gesichtsverlust
Gesichtsverlust
Skulptur von Johannes Dröge
Wie mit seiner Skulptur „Zuneigung" aus dem Jahr 1984 thematisiert Johannes Dröge auch mit seinem Werk „Gesichtsverlust" eine menschliche Gefühlslage. Und wieder ist es die Abstraktion und die Reduzierung auf klare, elementare Formen, auf die der Künstler zurückgreift, wenn es darum geht, das Wesen des Menschen, seine Position innerhalb einer höheren Ordnung oder die Beziehung zu seinem Gegenüber zum Ausdruck zu bringen.
Bei der Skulptur „Gesichtsverlust" wird erst bei genauerer Betrachtung verständlich, was der Künstler gestaltete. In den 1,10 Meter hohen, 0,70 Meter breiten und 0,80 Meter tiefen, dunkelgrünen Diabasstein schlug Johannes Dröge eine Kopfform. Diese ist nicht vollständig ausgearbeitet. So ist in dem ovalen Rund nur der Hinterkopf sichtbar. Die weitere Kopfhälfte scheint wie durch einen Schild abgeschnitten, der im Profil wiederum ein Gesicht andeutet. Andere Interpretationsversuche erkennen in dem Schild eine aufgelegte Hand, die schamhaft das Gesicht des Dargestellten verdeckt.
Zu welcher Deutung man auch neigt, klar ist, dass es sich bei dieser Skulptur von Johannes Dröge um eine Arbeit handelt, die aus zwei Teilen zusammengefügt wurde, die offensichtlich keine Einheit einzugehen vermögen. Ein Bruch entsteht, der nach außen hin deutlich wird. So zeigt sich die Skulptur zwar aus einem Stein organisch gewachsen. Doch schneidet der Schild scharfkantig in den glatt polierten, weich gerundeten Formleib des Hinterkopfes, um sich selbst im makellosen Schliff zu präsentieren. Formschliff und reine, vollkommene Flächen zeichneten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Plastiken von Constantin Brancusi (1876-1957) aus. Er selbst erläuterte seine stete Suche nach Formschönheit wie folgt: „Ich suche die innere, verborgene Realität, das innere Wesen der Dinge in ihrer eigenen unbeugbaren Natur".
Als eine solche Realität erkennt Johannes Dröge auch den von ihm veranschaulichten Gesichtsverlust. Er kann einem jeden Menschen widerfahren, aber auch von einem jeden auf unterschiedlichste Art auf- oder angenommen werden. So ist es möglich, dass eine schützend vor dem Gesicht gehaltene Hand oder ein Schild, der den Blick nach außen hin versperrt, als Zeichen dafür gesehen werden kann, dass sich hier jemand in sich selbst zurückzieht. Dieser Rückzug stellt für Johannes Dröge dann etwas Positives dar, wenn damit die Chance gegeben ist, die Geborgenheit zu spüren, die der Mensch in sich selbst finden kann. Doch sind Schild und Hand genauso gut gegenteilig zu deuten. So könnte es ebenso sein, dass der Künstler den Verlust der Einheit des Menschen mit seiner unmittelbaren Umgebung beklagt. Die vor allem von Johannes Dröge ersehnte Harmonie ist damit gebrochen, der Zwiespalt des Menschen offensichtlich.
Positiv oder Negativ, Bruch oder Einheit, Verlust oder Harmonie – alles dies zeigt sich bei Johannes Dröge nicht mit großen theatralischen Gesten. Seine Werke strahlen Ruhe aus, die durch die runden, klaren Formen akzentuiert wird. Diese Ruhe ist auch dem Bildhauer zu eigen. Sie ist für ihn die Grundlage, um in seinen Werken „das Wesen und das Wesentliche des Gegenübers" zu erschließen.